Es steht ein Baum mit 7 Zweigen
Er stand schon einst im Paradies
Er ist dem Menschen ganz leibeigen
Und ging mit ihm als er’s verließ
Er wurzelt steht‘s nicht wie die Anderen
Denn mit dem Menschen muss er werden, gehen und wandern
So ist ein solcher Baum für jeden hingestellt, in ihm ruht sein Lebensreigen
In seinen 7 Zweigen seine ganze Welt
Kaum tritt der Mensch hinein ins Leben
Steckt er die Hand schon danach aus
Den 1. Zweig musst Du mir geben, denn eine Wiege mach ich draus
Vom Baum die Seele aus den Zweigen spricht:
Den 1. Zweig der Mensch schon bricht
Das Kind wird groß, bald schon ein Mann
fasst er den 2. Zweig schon an
Sehnsucht erfüllt ihn, treibt ihn fort
Es gibt für ihn kein hier und dort
Die Seele des Baumes wehmutsvoll spricht:
Der 2. Zweig, vergiss das nicht!
Da regt sich in ihm schon ein anderer Keim, nach Macht – nach Geld, nach einem Heim
Sucht nach etwas und weiß nicht was, möchte bald dies, möchte bald das
Zum Baum des Lebens spricht er in wilder Gier
Gib her den 3. Zweig – sonst ich nehm‘ ich ihn mir
Wie traurig, das der Mensch dem Spiel ihm weiht, vom Baum den allerschönsten Zweig
Des Lebens allerschönste Zeit.
Zum Mann geworden (ein anderes Sehen erwacht mit aller Macht)
Zum Lebensbaum sagt er dann ruhig und klar
Gib mir den Zweig zum Traualtar
Den 4. Zweig reicht ihm des Baumes Seele, damit er ihn nicht einfach stehle
Nun will er das Leben ernst angreifen
So beginnt er nach Besitz umher zu schweifen
In Haus und Heim will er die Schätze häufen
Streckt zum Lebensbaum die Hände aus
Gib mir einen Zweig her für mein Haus
Die Seele des Baumes aber spricht dabei:
Der 5. Zweig, es bleiben nur noch zwei!
Nichts ist ihm zu schwer, nichts ist zu klein
Er sammelt einfach alles ein, kennt kein Ich, kein Du, nur Mein
Gönnt sich nicht Zeit, noch Freud und Muße
Bis er ganz müde wird, sehnt sich nach Ruhe
Schleppt sich zu seinem Baum – jetzt ohne wilde Gier
Gib mir einen Zweig zum Ausruhen mir!
Zu ihm spricht sein Baum: Der 6. Zweig
Du weißt es doch
bleibt einer noch
Ans Gestern denkt er viel im 60sten Jahr
Sein Baum entzweigt, der so blühend war
(Dann erst Erkenntnis tritt hervor)
Gebeugt steht er, der Mensch mit Silberhaar
Reich mir den letzten Zweig zur Kürcke dar
Die Selle des Baumes mit dem letzten Zweig entflieht
Der Mensch als Schatten nur noch weiterzieht
Der schwache Greis den Stamm festhält
Der Stamm als Sarg auseinander fällt
Es sieht ganz still der Mensch hinein
Erde schließt Mensch, Baum und Seele ein
Denn nur der Mensch vergeht, der Baum verdorrt
– jedoch der Wald besteht
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